Ein neuer Blick aufs Quartier

Wiedikon – ein Quartier von Zuzügern und Zuzügerinnen: Unter diesem Motto luden fünf Gemeinderatskandidierende der SP 3 am Samstag, 13. Januar zu einem Quartierrundgang ein. Etwa 30 Interessierte besammelten sich am Bahnhof Wiedikon.

Zu Beginn galt es für alle Teilnehmenden, auf einer Karte einzuzeichnen, woher sie in das Quartier zugezogen waren. Es stellte sich heraus, dass niemand schon immer in Wiedikon gelebt hat. Auch die fünf Kandidierenden Niyazi Erdem, Reis Luzhnica, Rebekka Plüss, Sefedin Tairi und Annette Hug stellten sich als Zuzüger und Zuzügerinnen vor. Der Startpunkt am Bahnhof Wiedikon wurde symbolisch gewählt. Denn eine Migrationsgeschichte beginnt oft am Bahnhof. Dass Wiedikon eine Geschichte mit vielen Zuzügerinnen und Zuzügern hat, lässt sich alleine schon an der Bevölkerungsentwicklung ablesen. Noch vor 200 Jahren hatte das Bauerndorf Wiedikon lediglich 760 Einwohnerinnen und Einwohner.

Ankunft oder Weiterreise?

Reis Luzhnica zur Geschichte des Sihlhölzli-Areals
Reis Luzhnica zur Geschichte des Sihlhölzli-Areals

Dass es auf dem Sihlhölzli-Areal einmal ein indisches Dorf gab, wussten die Wenigsten. Es ist heute fast unvorstellbar, dass diese «Völkerschau» zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele Schaulustige anzog. Das Sihlhölzli-Areal hat für Reis Luzhnica aber auch eine persönliche Bedeutung. Nachdem er als Kind mit seiner Familie aus dem Kosovo in die Schweiz flüchtete, seien sie oft dem Sihlhölzli entlang spaziert, hätten langsam Menschen getroffen und sich irgendwann heimisch gefühlt. In der Kälte, am Rand des leeren Fussballfelds, konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Rundgangs vorstellen, dass das ein Fest sein muss, wenn an einen Match des FC Kosova in Altstetten über 1000 Leute kommen.

Vor dem Coop am Manesseplatz erzählte Annette Hug, wie sich eine alte Ziegelei in eine Fuhrhalterei gewandelt hat. Heute steht an derselben Stelle die Überbauung einer Wohngenossenschaft mit speziellen Wohnungen für jüdisch-orthodoxe Familien. Hug rief eine Szene aus Kurt Guggenheims Roman «Alles in Allem» in Erinnerung: Zwei Brüder, die aus Osteuropa zugewandert waren und auch bei den einheimischen Westjuden auf Skepsis stiessen, mussten sich im Krieg eine wichtige Frage beantworten: Waren sie in der Schweiz sicher? Oder sollten sie besser nach Amerika weiterwandern? Kurt Guggenheim hat die Hoffnung ausgedrückt, dass mit «Freiheit der Schweiz» immer auch die «Freiheit der Minderheiten» gemeint ist.

Die ersten Spaghetti

Sefedin Tairi zur Geschichte der Binz
Sefedin Tairi zur Geschichte der Binz

Mit Ziegeleien ging es in der Binz weiter. Sie sind im 19. Jahrhundert entstanden und schnell gewachsen. Sefedin Tairi machte deutlich, was das für die Migrationsgeschichte von Wiedikon bedeutete. Wenn viele Leute zuziehen, werden Wohnungen gebaut. Der lehmige Boden von Wiedikon war dabei ein günstiger Umstand. Nach dem Niedergang der Ziegeleien wurde hier eine Barackensiedlung italienischer Saisoniers errichtet, woran sich noch einige der Teilnehmer erinnern konnten: «Hier haben wir als Kinder unsere ersten Spaghetti gegessen!» Sefedin Tairi, Sohn eines Saisonniers, brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass ein Ausländerstatut, das Familien auseinanderreisst, nie mehr eingeführt wird.

Niyazi Erdem vor seinem Imbiss
Niyazi Erdem vor seinem Imbiss

Eine kleine Aufwärmpause gab es danach im Imbiss bei Niyazi Erdem. Mit viel Freude betreibt er ihn seit 22 Jahren vis à vis des Primarschulhauses Bühl. Als gebürtiger Kurde sei er mit Politik aufgewachsen. Aufgrund der Geschichte der Kurden ginge das gar nicht anders. Er wünscht sich auf Seiten der Migranten und Migrantinnen mehr Wille zur Mitbestimmung. Erdem lebt dies vor mit seiner langjährigen Mitgliedschaft in der SP und seit kurzem mit seinem Amt als Gemeinderat.

Helden, welche Helden?

Der Friedhof Sihlfeld hiess früher Zentralfriedhof
Der Friedhof Sihlfeld hiess früher Zentralfriedhof

Auf dem Friedhof Sihlfeld ging Rebekka Plüss der Geschichte von deutschen Zuwanderern nach. Noch vor 100 Jahren war der Anteil deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in der Stadt Zürich viel höher als heute – auch in absoluten Zahlen. Viele dieser Deutschen zogen im ersten Weltkrieg in den Krieg. Zum Gedenken der Gefallenen steht ein deutsches Kriegerdenkmal am Eingang des Friedhofs.

Den Abschluss des Rundgangs machte ein Besuch am Grab von August Bebel – wohl der berühmteste verstorbene deutsche Staatsbürger auf dem Friedhof. Er war einer der Begründer der deutschen Sozialdemokratie. Der Trauerzug zu seinem Begräbnis 1913 reichte von der Zypressen- bis zur Rämistrasse.

 

Nach diesem Rundgang wurde klar, dass Wiedikon eine lange Geschichte hat von Zuzügerinnen und Zuzügern und dass Wiedikon diesen auch viel zu verdanken hat. Es ist ein weltoffenes, internationales Quartier und dafür stehen auch die fünf Kandidierenden der SP 3.