Droht ein neues Unwetter an der Sozialversicherungsfront?
In den 1960er-Jahre lebten in der Schweiz ungefähr 200’000 AHV-RentnerInnen unter dem Existenzminimum. Sie verfügten über keine berufliche Vorsorge und hatten kein Vermögen, auf welches sie hätten zurückgreifen können. Das Ziel der am 19. März 1965 vom Parlament beschlossenen Ergänzungsleistungen war ein existenzsicherndes Einkommen für diese Personen. Auch sichern die Ergänzungsleistungen im gleichen Masse, wie bei Menschen im Pensionsalter, die Existenz von Menschen mit Behinderung, die eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der IV beziehen. Zudem werden unter bestimmten Voraussetzungen krankheits- oder behinderungsbedingte Mehrkosten durch die Ergänzungsleistungen übernommen.
Hiobsbotschaft oder freudige Nachricht?
Immer wieder mal sind die Ergänzungsleistungen Gegenstand politischer Diskussionen. Als umstritten gelten häufig die Höhe der Leistungen oder der für die Miete ausgerichtete Maximalbetrag sowie die Pauschale, welche für Krankenkassenprämien entrichtet wird. Auch umstritten sind Obergrenzen bei der Übernahme von krankheits- und behinderungsbedingten Mehrkosten, insbesondere bei Personen, die in einem eigenen Haushalt leben. Denn allzu oft führen Mietzinsmaxima und Obergrenzen bei der Entrichtung von krankheits- und behinderungsbedingten Mehrkosten zu einem verfrühten oder unnötigen Heimaufenthalt. Dass dieser Mechanismus letzten Endes im Vergleich erhebliche Mehrkosten verursacht, scheint auf politischer Ebene zwar mehr und mehr zu Kenntnis genommen zu werden, noch drücken die Lösungsvorschläge für diese Probleme aber zu langsam an die Oberfläche.
Ein Weg das Problem anzugehen wäre es, die Mietzinsmaxima zu erhöhen und je nach Region anzupassen. Die derzeit in den Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) und der Schwesterkommission im Ständerat (SGK-S) diskutierte Vorlage sieht eine Anpassung der Mietzinsmaxima nach Regionen vor. Die Mietzinsmaxima von CHF 1’100 für Einzelpersonen bzw. CHF 1’250 für Ehepaare sowie der Zuschlag für eine rollstuhlgängige Wohnung bei ausgewiesenem Bedarf von CHF 300 wurden seit 2001 nicht mehr angepasst. Mit der Erhöhung dieser Beiträge sollen aber gleichzeitig die Maximalbeträge mit jeder im Haushalt lebenden Person reduziert werden. Zudem scheint eine Reduktion der Pauschale für die Krankenkassenprämien mehrheitsfähig zu sein.
Die Erhöhung Mietzinsmaxima ist derart überfällig, dass man dafür bereit zu sein scheint, die Kröten, welche in diesem bitteren Cocktail enthalten sind zu schlucken. Zwar protestieren Gewerkschaften, die Pro Senectute und diverse «Behinderten-Organisationen» nach Kräften, aber ob dies ausreichen wird, um die gesetzgebenden Mühlen und die bürgerliche Mehrheit zur Vernunft zu bringen, ist fraglich.
Systembedingte Einsamkeit und Ausgrenzung!
Es dürfte kaum als Wagnis gelten, zu prophezeien, dass die vermeintlichen Sparmassnahmen in dieser Vorlage Mehrkosten im Vergleich zur Ist-Situation verursachen. Wenn das Bilden von WGs ausserhlab von «Heimen» für ältere und oder Menschen mit Behinderung erschwert wird, führt dies über kurz oder lang zu mehr Heimeintritten als nötig. Denn es sind gerade WGs, die es ermöglichen mit geringer Hilfe seiner Mitbewohnenden möglichst selbstständig im Alltag zurecht zu kommen. Entfällt diese Möglichkeit durch die Reduzierung der Mietzinsmaxima pro Person im Haushalt, sind in der Praxis viele Fälle denkbar, die nach der Revision schlechter gestellt sind, als heute. Auch wenn die Erhöhung der Mietzinsmaxima überfällig und grundsätzlich zu begrüssen ist, würden Personen in Einzelhaushalten und Ehepaare würden durch den derzeit diskutierten Vorschlag – abgesehen von der Reduzierung der Pauschale für Krankenkassenprämie, welche insbesondere für chronisch oder häufig kranke Menschen fatal ist – in vielen Fällen auch eine Verbesserung ihrer Lebensumstände erfahren.
Zwischen Kompromiss und fatalistischem Zweckoptimismus?
Die EL-Revision ist also weder gänzlich schlecht, noch lässt es das sozialdemokratische Herz tatsächlich langfristig höherschlagen. Es bleibt abzuwarten, mit welcher Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche das revidierte Gesetz ausgestattet wird, um dem Kampf für eine tatsächliche, gerechtere soziale Sicherheit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Notfall können wir uns jedenfalls schon auf einige schöne Stunden auf der Strasse beim Unterschriftensammeln für das Referendum freuen. Aber vorerst bleibt zu hoffen, dass dies nicht nötig sein wird.